Ungleichmäßiger, leicht röchelnder Atem, dicht
an meinem Ohr, kurz bevor ich erwache. Mir war kalt, als ich eingeschlafen bin;
jetzt durchströmt Wärme meinen Körper. Ich habe das Gefühl,
an einem anderen Ort zu sein als der, an dem ich vor nicht allzu langer Zeit
eingeschlafen sein muss. Der warme Atem durchfährt mich ganz und gar, ich
möchte ihn trinken ... Öffne besser die Augen. Da ist das Feuer, an
derselben Stelle wie am Abend zuvor; ich nehme sein Flackern, das mir die Lippen
rissig machte und platzen ließ, aus den Augenwinkeln wahr. Haben wir das
Feuer nicht vor dem Schlafengehen gelöscht? Doch es ist da. Nicht hell
genug allerdings, um mehr als Umrisse zu erkennen. Die Sterne strahlen heller
als das Feuer. Die Milchstraße hängt in der bizarren Zweigformation
der uralten Eiche, unter der ich eingeschlafen bin. So viele Sterne auf einmal
habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Keine steinerne Zimmerdecke über
mir. Der Atem stockt, seufzt, erwacht. Ich kenne diesen süßen Atem!
Er gibt mir Leben. Ich verharre, in Glück gebadet, mit geschlossenen Augen.
Eine Hand streckt sich langsam nach meiner Schulter. „Lisa?“, flüstere
ich. Doch ich weiß, es ist nicht Lisa. Eine mir sehr vertraute, eine geliebte
Stimme, lacht tonlos. Ich schlage die Augen auf, das Feuer ist erloschen, doch
die Wärme bleibt. „Lass uns Sternschnuppen anschauen gehen“,
sagt die Stimme. „Es ist spät in der Nacht“, sage ich. „Je
später in der Nacht, desto mehr Sterne fallen“, erwidert sie. „Komm.“
Es bedarf keinerlei Anstrengung, aufzustehen; mein Kopf ist ganz leicht, die
Müdigkeit nach nur wenigen Stunden Schlaf völlig von mir gewichen.
Es ist, als werde ich an Fäden hochgezogen. Die Luft sirrt vor Wärme,
und doch geht ein leichter frischer Wind, der mir die geschwollene Röte
des künstlichen Feuers von den Wangen vertreibt. Die weiche und zugleich
feste Hand fasst meine, und ich drücke sie leicht; dann ist es, als seien
wir eins. Wir gehen den Weg eine Anhöhe hinauf, wo uns nichts die Sicht
zu den Sternen versperren wird. Es ist, als habe jemand ein riesiges Fass Tinte
umgestoßen ...
Deutlich sehe ich den Weg vor mir; ich brauche nur aufzustehen
und ihn zu gehen. Die blaue Dunkelheit muss die zwei Schatten geschluckt haben.
Doch ich weiß, sie sind da, fast noch kann ich ihre Bewegung ausmachen,
dort, wo die Tinte den Weg hinabfließt. Die Dunkelheit endet, wo ein zweites
Lagerfeuer brennt, weiter hinten, dort sind noch Leute auf. Wo bin ich? Ich
bin die Anhöhe hinaufgegangen; ich brauche nur dem Pfad zu folgen, dann
kann ich mich vielleicht noch einholen. Es kostet einige Mühe, mich
von den schweren Decken zu befreien, die in Lagen auf mich gestapelt sind. Jemand
liegt neben mir, in einem Schlafsack. Draußen ist es kalt; unser Feuer
ist aus. Meine Glieder sind steif, gelähmt von der Müdigkeit. Und
doch muss ich laufen, weg vom Feuer der anderen Leute, in die Schwärze
hinein. Ihre Stimmen dringen kaum zu mir herüber. Ich weiß, ich wollte
die Kuppe erklimmen, dort, wo man Sternschnuppen sehen kann. Vielleicht kann
ich mich noch finden. Ich gehe und gehe, die Hände in den Hosentaschen
vergraben; der eisige Wind bläst mir um die Nase. Ein paar Mal macht mein
Herz einen Sprung, weil ich glaube, zwei sich umwehende, gestaltlose Schatten
auf dem Weg vor mir zu sehen, und ich gehe schneller, doch dann muss ich mir
eingestehen, dass die Dunkelheit hier oben, wo die Sterne durch nichts verdeckt
sind, so dunkel nicht mehr ist, und dass ich mir nicht länger etwas vormachen
kann. Niemand ist hier außer mir, in diesem Moment. Nur ein Traum ...
Trotzdem bleibt das seltsame Gefühl, ein Teil von mir sei um die Biegung
verschwunden, von der Dunkelheit umarmt. Ich bleibe stehen und drehe mich um
mich selbst. Nur ein Traum ... Niemand soll ihn erfahren, schließlich
will ich in die Stadt zurück. Ich muss leben. Sie haben mir gesagt, ich
könne bald zurück. Die Sterne strahlen erbarmungslos, erleuchten den
ganzen Weg, das Stück, das ich gegangen bin, und das Stück, das die
andere Seite hinabführt. Tröstlich ist ihr Licht, und gleichzeitig
zerreißt es mir das Herz. Ich bin allein. Ich starre in den Himmel, damit
alles zu Licht wird, denn je länger man schaut, desto mehr Sterne tauchen
auf, bis die Augen tränen. Da sehe ich eine Sternschnuppe, ganz nah bei
der Erde. Ein Staubkorn verpufft ... Und ich weiß noch nicht einmal, was
ich mir wünschen soll.
Einen Augenblick überlege ich krampfhaft, doch ich weiß nicht zu
benennen, was mir fehlt.
Das Picken der Spechte in den Ästen über mir weckt
mich. Es ist noch früh, doch die Sonne wärmt schon ein wenig. Ihre
Strahlen tanzen einen Reigen mit dem raschelnden Blätterwerk. Ich muss
an die Zeit des Erwachens denken, daran, dass vor allen anderen Wesen die Sonne
zu mir durchgedrungen ist, mit ihren orangefarbenen Kreisen auf meiner Decke.
Das ist schon lange her. Jetzt ist alles anders. Ich warte mit geschlossenen
Augen, bis die Sonne höher steigt und meine Nasenspitze – das einzige,
was unter dem Haufen Decken hervorlugt – auftaut. Leises Lachen der anderen
Camper dringt herüber. Sie packen schon ihre Sachen zusammen. Bald hört
man den Wagen starten, und sie fahren davon. Die Nacht war eisig. Lisa hat mich
gewärmt. Ich glaube, wir haben uns geküsst. In dieser Nacht müssen
wir zusammengekommen sein.
Sie bleibt die drei Tage bei mir, bis Kyra mich abholt. Sie wird uns beide abholen.
Die Nonnen werfen uns neugierige Blicke zu, dann lächeln sie. Lisa lächelt
und drückt meinen Arm, so fest, dass blaue Flecken bleiben. Ich lächele
scheu, Röte steigt mir ins Gesicht. Ich bin froh, dass sie mich nicht mehr
mit Nachsicht behandeln, denn das heißt, dass ich wieder gesund bin. Oder
vielleicht werde ich nie ganz gesund sein – etwas bleibt wohl immer zurück,
doch jetzt weiß ich, dass ich den kranken Träumen keine Bedeutung
beimessen darf – aber zumindest heißt es, dass sie mich für
geheilt befinden. Es heißt, dass ich in die Stadt zurück darf. Ich
will in die Stadt zurück. Ich will leben.
Aus: Hope’s Obsession, Roman, Morgana Verlag, März
2008